
Februar 2018
Hass auf Ausländer Sachsen, braunes Naziland? Unfug
Binnen weniger Tage gab es in Sachsen mehrere Übergriffe auf Zuwanderer - typisch Ostdeutschland? Nein - typisch Rassismus.
Warum wir es uns nicht zu einfach machen dürfen.
Ein Kommentar von Peter Maxwill (Spiegel online)
Haben Sie das auch gelesen? In Dresden sollen Rechte einen Kampfhund auf eine Afrikanerin gehetzt haben. In Chemnitz sollen Rechte Hakenkreuze an die Bäckerei eines Kurden geschmiert haben. In Plauen sollen Rechte ganze Roma-Familien rassistisch bepöbelt haben. Und in Wurzen bei Leipzig sollen Rechte Flüchtlinge gejagt haben.
Sachsen halt, mag man da denken, da leben ja eh fast nur Nazis. Oder?
Für die 64 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht zwischen Zwickau und Görlitz leben, ist dieses schlichte Denkmuster eine prima Sache: Rassismus scheint hierzulande geografisch einen festen Platz zu haben, und wer woanders wohnt, im Idealfall im Westen der Republik, ist fein raus. Hass auf (tatsächliche oder vermeintliche) Ausländer findet fast jeder schlimm - wie praktisch es da ist, dass man die Empörung darüber in „Dunkeldeutschland“ abladen kann, im „Kaltland“.
Weniger Polarisierung, mehr Sachlichkeit
In der vergangenen Woche sind SPIEGEL-Reporter dem Thema Rassismus nachgegangen - und weil es in Sachsen zuletzt eine Häufung entsprechender Vorfälle auf vergleichsweise engem Raum gab, taten wir es dort: In Plauen und Dresden, in Chemnitz und Wurzen sprachen wir mit Menschen und recherchierten ihre Geschichten. Ein Ergebnis: Ja, in Sachsen gibt es ein Problem mit Rechtsextremismus. Ein massives Problem sogar.
Ist deshalb im Rest der Republik alles in Ordnung? Definitiv nicht.
Im hessischen Lahn-Dill-Kreis sollen vier Rechtsextremisten einen Hundert-Mann-Schlagtrupp gegründet und Waffen gehortet haben. In Würzburg sollen immer mehr neonazistische „Soldiers of Odin“ ihr Unwesen treiben. In Worms sollen städtische Mitarbeiter in einer WhatsApp-Gruppe Verschwörungstheorien und NS-Symbole ausgetauscht haben. Und in Koblenz wird derzeit einer der größten Prozesse gegen Neonazis in Deutschland neu aufgerollt. Keiner dieser Orte liegt in Ostdeutschland, geschweige denn in Sachsen.
Die deutsche Rassismusdebatte braucht weniger Polarisierung, und mehr Sachlichkeit, Fairness, Differenzierung.
Denn beim Thema Rassismus zeigt der Blick auf den Einzelfall oft, dass die Sache komplizierter ist. So hat beispielsweise in Dresden-Gorbitz im September jeder Dritte die AfD gewählt, eine straff organisierte Neonaziszene gibt es dort aber offenbar nicht. Eine solche ist dafür in Wurzen aktiv - wo bei den jüngsten Kommunalwahlen AfD und NPD nicht angetreten sind, wo ein von den Linken unterstützter SPD-Mann Bürgermeister ist, wo Dutzende Menschen sich für Flüchtlinge engagieren. Das macht die Probleme im Ort nicht besser, schon klar, aber das bisschen Differenzierung müssen wir uns leisten: Wurzen hat ein Problem, aber Wurzen ist nicht das Problem.
Wir dürfen es uns nicht zu leicht machen
Ein Perspektivwechsel hat auch bei manch anderem Rassismusfall aus Sachsen bemerkenswerte Folgen: In Dresden halfen Passanten der angefeindeten Äthiopierin, in Chemnitz haben Nachbarn dem attackierten Kurden ihre Hilfe angeboten, in Plauen wurden zwei deutsche Teenager spontan zu Lebensrettern. So könnte man diese Geschichten aus Sachsen auch erzählen, es wären Geschichten über Menschlichkeit und Solidarität.
Das ist keine Relativierung von Rassismus und Gewalt, sondern eine weitere Perspektive darauf. Die Opfer rechter Übergriffe haben Aufklärung und Unterstützung verdient, der Staat muss Hilfe und, wo nötig, auch Härte zeigen. All das stellt ja kein vernünftiger Mensch infrage, es geht aber um mehr: Wer rechte Umtriebe als primär ostdeutsches Phänomen simplifiziert, macht es sich und uns allen zu leicht.
Im Einsatz gegen Rassismus darf sich niemand zurücklehnen, egal ob Sachse, Westfale oder Ostfriese. Wer mit Diskriminierung und Hass konfrontiert ist, wer sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im eigenen Viertel, im eigenen Dorf sorgt, der sollte sich engagieren. Ob man die CSU oder die Linke favorisiert, tut dabei ebenso wenig zur Sache wie der eigene Wohnort: Für Menschlichkeit lohnt es sich in Bautzen genau so zu kämpfen wie in Bonn.
Das Problem heißt nicht Sachsen. Das Problem heißt Rassismus.
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