„Demokratische“ Gedanken zum Jahreswechsel

In jeder repräsentativen Demokratie kommt den auf Zeit gewählten Vertretern eine besondere, eine gehobene Rolle zu. Sie übernehmen für die Bürgerinnen und Bürger die politischen Entscheidungen. Diese Stellvertreter, unsere Politiker, die Diener der Demokratie, verdienen höchste Wertschätzung.
Im Gegensatz dazu steht folgender Befund: Politiker haben ein schlechtes Ansehen. In einer Repräsentativumfrage für den DBB Beamtenbund im Jahr 2019, billigen nur 16 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Politikern ein hohes oder sehr hohes Ansehen zu. Das sind 9 Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren. Und: Nur die Angestellten von Telefongesellschaften, Werbeagenturen sowie der Versicherungsbranche haben noch schlechtere Zustimmungswerte.
Diese Tendenz ist nicht neu, bleibt aber alarmierend. In einer Zeit, in der demokratische Systeme unter Druck geraten, in der von Fake-News die Rede ist, in der extreme Positionen an Zulauf gewinnen, sind Politiker gefragt, die sachliche Leidenschaft mit einem hohen Verantwortungsgefühl verbinden. Max Weber sieht jene Qualitäten als die wichtigsten für einen guten Politiker an.
Der Politiker, der Repräsentant unserer Demokratie, ist in der Vertrauenskrise. Was macht einen guten Politiker weiter aus? Er muss zumindest fähig sein, sich selbst und seine Rolle infrage zu stellen. Max Weber sieht die Eitelkeit als Hauptfeind bei der notwendigen Selbstreflexion des guten Politikers.
Politiker stehen in der heutigen Mediengesellschaft im Rampenlicht wie nie zuvor. Das gilt zumindest für den hauptberuflichen Politiker. Dieser ist auch oft gemeint, wenn das Bashing wieder einsetzt, wenn von „denen da oben“ die Rede ist, die in einer Luftblase lebend keinen Kontakt zum Volk mehr haben.
Dabei sind es die zahlreichen Politiker auf kommunaler Ebene, in Räten, in Bezirksvertretungen, die das Gemeinwohl organisieren, die nah dran sind an den Problemen der Menschen und oftmals ehrenamtlich arbeiten.
In letzter Zeit stellen politische Kommentatoren gerne das Existenzrecht der SPD infrage. Auch hier wird häufig nur auf die oberste Ebene abgezielt. Ist von denen im Willy-Brandt-Haus die Rede, welche die wirklichen Probleme der Menschen nicht mehr kennen würden. Dabei ist die SPD immer noch die mitgliederstärkste Partei in Deutschland und stellt zahlreiche Mandatsträger auf kommunaler Ebene fernab von Berlin.  
Demokratie gibt es im Großen und im Kleinen. Im Rampenlicht zu stehen, mag eine große Versuchung sein. Die Demokratie im föderalen Deutschland lebt aber auch von der Arbeit vor Ort. Die stillen Helden der Kommunalpolitik haben Bewunderung verdient. Sie tragen ihren Teil zum guten Miteinander bei. Häufig haben sie ein SPD-Parteibuch. Schon deshalb erübrigt sich die Frage nach dem Existenzrecht der SPD.
Für das Jahr 2020 und die Demokratie gilt mehr denn je zuvor: „Rausgehen und miteinander reden. Von Angesicht zu Angesicht.“ Die Süddeutsche Zeitung stimmt ihre Leser mit diesem Appell in der Ausgabe vom 28.12./29.12.2019 auf das neue Jahr ein.

Ingo Rudolf